Brücken bauen, Brücken hinter sich abbrechen. Beides kommt vor, beides muss manchmal sein. Eine Brücke ist ein Bauwerk, das über ein Hindernis gebaut wird. Das steht im Klexikon, der Wikipedia für Kinder. Eine schöne Definition, da sie nicht nur für reale Bauwerke gilt, sondern auch für mentale. Ich habe in dem Dorf im Hochtal, wohin ich öfters zum Schreiben fahre, meine Lieblingsbrücke gefunden. Es gibt dort drei Brücken. Die alte gedeckte Holzbrücke unten im Dorf für Fahrzeuge und Fussgänger. Dann die hohe Betonbrücke für Autos und in der Dorfmitte eine hohe, lange und schöne Stahlbrücke mit Holzplanken für Fussgängerinnen. Nach je einem und zwei Drittel hat sie beidseits einen kleinen Balkon, von dem aus man in die Tiefe blicken kann. Nichts für nicht Schwindelfreie. Das Geländer ist mir schulterhoch. Ich halte mich jeweils an der Kamera fest, denn immer, wenn ich dort bin, mache ich ein Bild. Die Farben fügen sich zu einem Gemälde zusammen, jetzt im Spätwinter oder Frühfrühling in weiss und grau und senfgelb und grünblautürkis. In dem Sinn ist unter meiner Brücke kein Hindernis. Wollte ich den Fluss überqueren, müsste ich einen Umweg laufen zur kleinen Holzbrücke zum Beispiel. In dem Sinn ist die Brücke über ein Hindernis gebaut.
Diese Brücke könnte mehr sein als ein Weg auf die andere Seite. Sie könnte ein Weg ohne Ausweg sein. Ich weiss nicht, ob schon einmal jemand von dieser Brücke gesprungen ist. Ich weiss nur, dass an den Enden der Brücke eine kleine Barriere angebracht ist in deren Mitte ein Schild hängt: «Verzweifelt? Rufen Sie uns an, darüber reden hilft! Tel 143, Die Dargebotene Hand». Gibt es in dem kleinen Bergdorf verzweifelte Einheimische oder lebensmüde Touristen? Ist die Gemeinde einfach aufmerksam oder ist es Prävention wie bei den Zeitungsartikeln oder Fernsehsendungen an deren Ende Adressen und Telefonnummern stehen, an die man sich wenden kann, wenn man von den besprochenen Problemen betroffen ist? Ich weiss es nicht. Als ich das letzte Mal an meinem Fotoapparat hängend Bilder machte, kam ein Gemeindearbeiter auf mich zu und wir hielten einen kleinen Schwatz. Vielleicht sind die Menschen in dem Hochtal einfach aufmerksamer als ich es als Städterin gewohnt bin.
Jedenfalls, ob Stadt oder Land, Brückenbauer oder Brückeneinreisserin, alles hat immer zwei Seiten. Man muss nur die richtige wählen. Wie ist das nochmal mit dem halbvollen Glas?
herzlichst
barbara esther
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