Zwischenräume

Neulich war ich an diesem Ort am Mittelmeer, an dem sich seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts die Reichen und Schönen treffen.  Die Schere öffnet sich, wird die Welt zerschneiden, Gräben öffnen ohne Brückenbauer, und ich stehe im Spagat im Zwischenraum.

Mir ist aufgefallen, mich hat berührt, wie an diesem Ort, das einst so wohlbehütet war, nun Bettler sitzen, während die Damen mit langen Haaren, grossen Sonnenbrillen und aufgespritzten Lippen keine Hand frei haben die zerbeulten Blechbüchsen mit Münzen zu füllen. Sie tragen diese edlen Kartontaschen der Luxusbrands in beiden Händen und eilen mit Stiefeln und hohen Absätzen zum nächsten Rendez-vous.

Die Bettler sitzen in den Gassen, am Hafen zwischen Jachten und Malern, in abgetragenen Kleidern mit versehrten Zügen. Ich schaue zu, bin nicht reich, bin nicht arm, bin nicht alt und nicht jung, nicht schön und nicht hässlich, nicht krank, aber auch nicht ganz gesund. Ich gehe weiter, hinkend mit einem gebrochenen Zeh. Der Bettler siehts und sagt «elle est malade comme moi.» Die Worte hallen nach. Ich schäme mich. Was ist schon ein gebrochener kleiner Zeh, ein Schmerz, der vergeht.

Etwas später lege ich dem Bettler ein paar Euro in seine Blechbüchse. Es fühlt sich nicht gut an. Eine Zahlung wie Ablass, eine Entschuldigung für die Welt, wie sie ist, eine Entschuldigung dafür, dass meine Beine bald zu kurz sein werden, den Spagat zwischen den Gräben zu halten?

herzlichst
barbara esther

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