Hilfe, ich fühle

Es gibt diesen berühmten Satz, «cogito ergo sum», ich denke, also bin ich, den der französische Philosoph René Descartes 1644 aufgeschrieben hat. Für mich könnte es «sentio ergo sum» heissen, ich fühle, also bin ich. Descartes philosophischer Ansatz liesse das nicht zu. Man kann alles In Zweifel ziehen, nur das Denken nicht. Es wäre ein Widerspruch gleichzeitig zu denken und nicht zu sein, sagt er. Zugegeben, um die Philosophie zu verstehen, muss man eine gute Denkerin sein. Dass man jetzt aber daraus schliesst je mehr man denkt, desto mehr ist man, quasi desto intensiver lebt man, ist allerdings ein Trugschluss. Jedenfalls wenn man nicht Philosophin ist.

Also weg vom Glatteis, hinein ins Wechselbad. Gefühle sind viel volatiler, die zieht man dauernd in Zweifel. Sie gehen viel weiter als das blosse philosophische Sein, sie geben diesem erst Sinn. In diesen Zeiten, in denen niemand so richtig weiss, wohin es geht, nur dass es bachab geht, drohen die Gefühle das Denken zu überholen. Unsicherheit, Furcht, Ohnmacht, die Liste lässt sich in dieser Stimmungslage beliebig verlängern, plagen uns. Man könnte heulen. Doch auch in diesen Zeiten wird gelacht, verliebt man sich, kommen Kinder zur Welt, gewinnt man im Lotto, bekommt man seinen Traumjob. In diesem auf und ab der Gefühle wird die Welt zum Schüttelbecher, man schlaf- und rastlos.

Können Sie das nachvollziehen? Ich frage Sie das ganz bewusst. Wenn ja, sind Sie ein empathischer Mensch. Empathie ist eine Tugend, dachte ich bisher. Und nun kommt dieser Mensch und erzählt mir, wo er sich von der Empathie hat verabschieden müssen. Im Krieg. Krieg und Empathie vertragen sich nicht. Er hat Hilfsgüter in die Ukraine gebracht. In Hörweite der Frontgeräusche habe er nur daran gedacht, dass er gehen könne, die Soldatinnen und Soldaten nicht. Hätte er sich vorgestellt, wie es ihnen dabei geht, es wäre unerträglich gewesen. Diese Geschichte hat mich verfolgt. Ich erzähle sie Ihnen trotzdem.

Bei meiner Recherche zu diesen Zeilen stolperte ich irgendwo in social media auf das neue Buch von Axel Hacke, «Wie fühlst du dich? Über unser Innenleben in Zeiten wie diesen». Ich habe es nicht gelesen. Für mich sind Gefühle gerade wichtiger als Gedanken. Vielleicht würde Descartes heute doch «sentio ergo sum» schreiben.

herzlichst
barbara esther

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