der Tischnachbar

Wann waren Sie zum letzten Mal in einem Hotel? Die Tische am Morgen und Abend von Hotelgästen besetzt. Zum Beispiel in der Skisaison. Zum Frühstück Pantoffeln, Trainerhose und Bauch. Wenigstens ist es still, nur die Kaffeemaschine zischt und die Löffel klirren. Müesli wird reingeschaufelt, Eier werden geköpft, Schnitten gestrichen.

Abseits der Schulferien sind vorwiegend Rentner und jüngere Paare ohne Kinder unterwegs. Abends ist es lauter als am Morgen. Bei Wein und Bier werden Erlebnisse getauscht – könnte man meinen. An einem Tisch wird Englisch gesprochen, am nächsten Baseldeutsch, am übernächsten Französisch. Grosse Tischrunden sind lauter, als kleine, nicht etwa, weil es mehr Leute sind, sondern weil man sich in einer Gruppe weniger gut kennt und sich mehr zu sagen hat. Wer lieber schweigt, ist zu zweit. Oft jedenfalls. Vertieft ins Handy, ins Essen oder in Träume von einem anderen Leben.

Ausser an dem Tisch mit dem Baseldeutsch sprechenden Paar, das zwischen dem Tisch mit den Engländern und den Welschen sitzt. Nicht hinhören, geht nicht, jedenfalls, wenn man Baseldeutsch versteht. Der Mann mit seiner Frau in den Winterferien muss viel loswerden. 30 Jahre Frust. Er will künftig keine Kompromisse mehr eingehen. Die Frau ist kaum zu hören. Sie spricht leise, versucht ab und zu etwas einzuwerfen. Wahrscheinlich wäre sie jetzt lieber an einem Tisch, an dem geschwiegen oder in der Gruppe diskutiert und gelacht wird. Ihr Unwohlsein ist bis zu uns, zwei Tische weiter, greifbar zu spüren. Als wir aufstehen und an ihnen vorbeigehen, kämpft sie sich tapfer durchs Dessert, das Gesicht unter einem Lockenkopf grauschwarzer Haare versteckt.

Wir sehen die Beiden nicht mehr. Am nächsten Morgen nicht und auch am Abend nicht. Vielleicht sind sie abgereist. Fast wünschte ich mir, sie sei allein gereist.

herzlichst
barbara esther

newsletter abonnieren