Das Jahr ist noch jung, aber ich habe schon viel gelernt. Zum Beispiel, dass der Mensch heute täglich so viele Informationen erhält, wie ein Mensch im Mittelalter während seines ganzen Lebens. Das sagt Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk in meinem Sonntagsblatt. Sie macht sich Sorgen, dass die Menschen in diesem Informationschaos die literarische Fiktion nicht mehr verstehen. Frau muss sich das mal vorstellen – und jetzt bekommen Sie von mir für den heutigen Tag auch noch Informationen – was das heisst. Im Mittelalter wurde ein Mensch durchschnittlich 35 Jahre oder 12’779 Tage alt. Bedeutet, dass heute ein 35 Jahre alter Mensch 163’302’841 Informationen erhalten hat. Jetzt nützt mir eine zweite Information, auf die ich dieses Jahr gestossen bin, das Paretoprinzip. Es besagt, dass 80 Prozent aller Dinge mit 20 Prozent aller Energie erledigt werden können. Für die restlichen 20 Prozent braucht es dann 80 Prozent aller Energie. Ziehen wir in Betracht, dass Ferdinand von Schirach, von mir sehr geschätzter Autor und Anwalt, das Paretoprinzip so auslegt, dass 80 Prozent von allem Mist ist, müssen wir uns noch um 20 Prozent oder 32’660’568 Informationen täglich kümmern. Wie viele Informationen ein Mensch täglich aufnehmen kann, konnte mir KI nicht beantworten.
Müssen Sie wissen, was Sie gerade gelesen haben? – Schön, haben Sie trotzdem bis hierher gelesen. Interessant ist ja die Frage, welche Informationen hängen bleiben, und welche nicht bis zu uns durchdringen, oder sofort wieder vergessen gehen. Anders als KI, die masslos Informationen in sich hineinstopft und wieder ausspuckt, wählen unser Hirn und Herz aus. Es bleibt gespeichert, was wir brauchen, und was uns erfreut. Hat es vom Zweiten nicht genug, greifen wir zur Fiktion, sei es zur eigenen oder zur literarischen. Olga Tokarczuk muss sich keine Sorgen machen.
herzlichst
barbara esther
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