eine Mütze in Biel

Etwas mehr als ein Jahr ist es her. Wir nahmen ihn mit dem Auto mit nach Biel, wo er auf den Zug nach Hause umstieg. Im Oberland hatten wir das Fest einer gemeinsamen Freundin besucht. Die Mitfahrgelegenheit ergab sich zufällig. Wir kannten uns nicht. Es war Winter und als ich aus dem Auto stieg, fiel mein Blick auf eine schwarze Wollmütze auf dem Rücksitz. Sein Zug war längst abgefahren, die Mütze liegengelassen, zurückgelassen. Ich musste bei der Freundin nach seiner Nummer fragen und wollte ihm die Mütze nachsenden. Er wollte nicht. Er werde sie abholen. Monate später fällt mir die Mütze wieder in die Hände. Sie liegt unter einem Stapel Kleider in der Garderobe. Wohin damit? Kurze SMS: «Soll ich sie doch schicken?» Kurze Antwort: «Ich werde sie holen». Kurz darauf kommt die Freundin bei uns vorbei, erwähnt nebenbei, dass sie ihn bald sehen werde. Ob er seine Mütze wieder habe, oder ob sie sie ihm bringen soll. «Frag ihn», sag ich, glaubte aber nicht, dass sie sie ihm bringen soll. Und sie soll nicht.

Die Mütze liegt noch heute unter einem Stapel Kleider in der Garderobe. Ich werde nicht mehr fragen. Sie ist zum Symbol geworden. Ich kenne die Motivation seines Trägers nicht. Hat er in Biel eine Rechnung offen, einen Wunsch frei, will er Geduld lernen, einen Gedanken reifen, ein Projekt wachsen lassen? Hat er einfach Vertrauen in die Zukunft, dass Biel für ihn etwas bereithält? Will er das süsse Gefühl der Vorfreude auskosten, den Moment hinauszögern? Was, wenn die Mütze wieder auf dem Kopf und der Tag in Biel ein ganz normaler war? Vielleicht aber wird der Besuch in Biel, der Blick über den See, das Glas Wein im Rebberg oder der Gang durch die Altstadt zum Anfang von etwas Neuem, einer Idee, einem Lebensgefühl, einer Begegnung.

Wie sangen einst die Dietrich und später die Knef: «Ich hab noch einen Koffer in Berlin … Der bleibt auch dort und das hat seinen Sinn.» Und das wird mit der Mütze auch so sein.

herzlichst        
barbara esther        

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