Kleine Intimitäten

Wie halten sich Frauen wie ich, die weder Kälte, Schnee noch Skis etwas abgewinnen können, bei Laune? Sie sitzen vor dem Kaminfeuer, Katze auf dem Schoss, ein Glas Rotwein in der Hand und suchen den Sinn des Lebens, sie lümmeln sich auf dem Sofa und schauen zum gefühlt tausendsten Mal «dirty dancing» oder sie liegen unter der Decke und arbeiten die zwei Meter Bücher neben dem Bett ab. Spätestens wenn die Fingernägel, beim Versuch den Reissverschluss der Jeans zu zuziehen, brechen, reichts. Raus aus dem Haus, ausnutzen, was in Zeiten von Corona machbar ist. Fussmarsch in die Stadt, Spaziergang am See, Abstecher in Büro. Die Welt ausserhalb meiner Wohnung existiert noch. Im Büro ist es ruhig, düster und leer. Fast jedenfalls. Am Drucker steht ein unbekanntes Wesen mit Maske. Wir kommen ins Gespräch. Aha, die Neue aus der Nachbarabteilung. Nette Stimme, wie sie wohl aussieht? Dann, ein schneller Blick nach links und rechts, niemand sonst in Sicht, sie nimmt die Maske ab. Ich auch. Wir lächeln uns an, setzen die Masken wieder auf. Sind das unsere neuen Intimitäten? Einst fragte man sich, wie das Sixpack der heimlichen Liebe oder der Busen der neusten Eroberung aussieht. Heute wärmt das Herz ein nacktes Lächeln.

Beschwingt nach diesem kleinen Abenteuer fröne ich wieder dem Bücherlesen. Buchstabe um Buchstaben, Seite um Seite verschwindet hinter meinen Lidern bis sie mir zufallen. Was bleibt, was bewegt, was zerrinnt? Wie geht es den anderen draussen in der Welt hinter ihren Masken? Lesen sie dieselben Bücher, haben sie die gleichen Gedanken? Kann ein Mann über die Liebe einer Frau schreiben? Finden wir es heraus. Anfang Mai, wenn die Gärten wieder blühen und die Sonne wärmt, treffen wir uns. Wir diskutieren, streiten, lachen über Bücher, die wir alle gelesen haben. Wer dabei ist, schickt mir bis Ende Februar einen Buchtitel. Wir wählen dann gemeinsam die zwei Bücher aus, über die wir reden wollen. Ich freue mich.

herzlichst        
barbara esther        

newsletter abonnieren