Abschied. Voraussehbar, nicht traurig, etwas wehmütig. In 25 langen Jahren von der Gewohnheit zum Ritual. Gewohnheiten betten ein, stabilisieren, geben Sicherheit. Gewohnheiten vereinfachen, beschränken, verhindern. Es gilt das Momentum zu erwischen, auf der Kippe zu schubsen, sich der Leere zu stellen. Gewohnheit als treue Begleiterin, wichtiger Inhalt. Ich bin nicht undankbar, ich bedanke mich mit einem Requiem.
Es war Oktober 1995 als ich allein in meiner kleinen Zweizimmerwohnung im Berner Murifeld festsass und den Ausbruch plante. Seither setzten wir uns jeden zweiten Freitag im Monat um den grossen Stubentisch zum Spaghettiessen. Jede und jeder war eingeladen, durfte mitbringen, wer in die Runde passte. Gruppendynamik als Regulatorin. 25 Jahre, sechs Umzüge, zwei Tische und vier Stuhlgarnituren später sassen wir letztmals zusammen. Noch immer mit Stammgästen und neuen Gesichtern. Meine Freundinnen – nicht immer die Männer an ihrer Seite – überlebten all die Jahre, all die Diskussionen, als die Spaghettisaucen und Rotweinflecken. Wir wurden gemeinsam älter, Menopause statt Musenkuss, Diskushernie statt Discotratsch, Roibuschtee statt Rotweinglas. Wir sprachen über Toleranz und Solidarität und gerieten uns in die Haare. Was mit 30 nach dem Kater verziehen war, geht mit 55 gar nicht mehr, allein schon, weil der Kater fehlt.
Nun hat Corona uns eine Pause aufgezwungen, die gelegen kommt. Schicksal macht Sinn, was man allein nicht schafft, passiert dennoch. Pause, durchatmen, ausruhen, Energien wachsen und Neues entstehen lassen. Liebe Spaghetti, ich esse euch immer noch gern, aber nicht mehr am Freitag und nicht mehr am grossen Tisch. Liebe Freundinnen und andere Gäste, ich mag Euch immer noch, aber nicht mehr am Freitag und nicht mehr am grossen Tisch. Nächstes Jahr wird nicht alles anders, aber alles wird besser passen. Wir werden es für uns passend machen, mit dem Risiko, eine neue Gewohnheit zu initialisieren.
herzlichst
barbara esther
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