Es gibt Dinge, die passieren nur den anderen – bis du selbst zu den anderen gehörst. Wir sind in Seenot geraten und haben einen Schutzengel gehabt. Warum wir, und warum hatten wir so viel Glück? Diese Fragen treiben mich um, wollen mir den Schlaf rauben. Das im-Kreis-denken anhalten, die Dinge, die passiert sind, einfach stehen lassen, sagen, es ist, wie es ist. Punkt. – Schwierig.
Vielleicht waren wir nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Um 14.36 Uhr Lokalzeit auf 37°19’41’’N und 025°21’36’’ W. Wir sassen buchstäblich alle im selben Boot, und dies war ein Seenotfall. Unspektakulär, aber stetig lief das Meerwasser ins Boot. Wir taten, was zu tun war. Ruhig und im Vertrauen, dass wir es schaffen. Wasser schöpfen, pumpen, auf 100 zählen, weitermachen. Die Zeit vergeht langsam. Ein Fischerboot taucht auf, begleitet uns, gibt uns Sicherheit, Halt. Dann quert eine Schule lustiger Delfine unser havariertes Boot. Wir schaffen es. Im Hafen dann stehen alle bereit, sind für uns da, helfen. Es ist für alle gesorgt. Das Boot hängt am Kran und tropft.
Wir reden und reden, essen und trinken und reden, immer wieder. Stundenlang. Tagelang. Wir sitzen im selben Boot. Es gibt Dinge, die sich der Vorstellung entziehen. Ihre Erfahrung aber öffnet Schleusen. Sich den Fragen stellen, ist gut. Begreifen, annehmen, stehen lassen. Die Gedanken aus dem Ruder laufen lassen, ist nicht gut. Was-wäre-wenn-Fragen sind gar nicht gut. Angst steigt auf, wie der Wal aus den Tiefen des Ozeans.
Wir sind mit einem Pottwal zusammengestossen. Wir im selben Boot, zur selben Zeit, am selben Ort, haben am Abgrund gesessen, den Schutzengel geteilt, dieselben Fragen gestellt. Die Sehnsucht nach dem Meer ist geblieben, der Respekt vor der Natur bestätigt. Wir wissen nicht, wie es dem Wal geht, aber wir vergessen ihn nicht – unseren Wal mit dem Pflaster auf der Stirn.
herzlichst
barbara esther
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