Nichts ist so trostlos wie das kalte Licht des Schnees an einem grauen Tag. Es ist die Abwesenheit jeglichen Blaus. Vom Himmel bis in den Keller nur trauriges Grau. Regen tropft in den Pflotsch. Nichts Romantisches, wenn sich der Matsch mit dem Dreck vermischt.
«Kaltes Licht» ist eine literarische Synästhesie. Dass für mich das Wort «Barbara» blau und die Zahl «5» rosa sind, ist hingegen eine genuine Synästhesie. Wörter, Buchstaben und Zahlen sind vor meinem inneren Auge farbig. Willkürlich farbig, unsinnig farbig. Synästhesie ist eine zusätzliche Wahrnehmung, ein zweiter Sinnesreiz, der einfach da ist. Als ob mein Hirn zu wenig zu tun hat, Überstunden macht oder Purzelbäume schlägt. Musikerinnen wie Lady Gaga oder Billie Eilish sind Synästhesistinnen. Die Komponisten Franz Liszt und Jean Sibelius waren Synästhetiker und der Maler Wassily Kandinsky. Synästhetik beschränkt sich nicht auf Zahlen und Buchstaben, sie ist für jede und jeden anders, auch Töne können farbig sein oder einen Geruch haben. Synästhesie ist nicht sinnlos, jedenfalls dann nicht, wenn die überschüssige Hirnenergie, wie bei vielen Künstlern, in Kreativität umgewandelt wird.
Dann wird es Arbeit. Die literarische Synästhesie ist stimmig, richtig, will verstanden werden, sonst ist sie Kitsch, der Lächerlichkeit ausgesetzt, wie eine falsche Metapher. Die Leserin erinnert sich, stimmt zu, widerspricht. Das Hirn genügt nicht für die literarische Synästhesie. Sie braucht auch Herz, Fantasie und Empathie.
An Tagen, an denen das kalte Licht des Schnees nur graue Trostlosigkeit verbreitet, finden meine Synapsen keine Synergien, meine Sympathien sind beim Murmeltier, und Synästhesien finde ich höchstens in der Literatur. Denn dann verkrieche ich mich ins Bett und lese einen Roman. Auf der Suche nach ein bisschen Blau.
herzlichst
barbara esther
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