KI kondoliert

Ich gehe nie zum Coiffeur. Vielleicht ist das ein Fehler. Denn Coiffeur ist mehr als Haare schneiden und Klatschmagazine. Meine Freundin mit den kurzen Haaren geht oft hin. Letztens hat ihr Coiffeur ihr Folgendes erzählt: Eine Kundin habe ihm anvertraut, dass sie eine Kondolenzkarte mit KI (künstlicher Intelligenz) geschrieben habe. Während er die grauen Haare meiner Freundin sanft auf braun trimmte, haben die beiden sich gefragt, ob mit KI kondolieren, moralisch, ethisch vertretbar ist. Dem Tod, dieser bittersten aller Realitäten mit KI zu begegnen, hat sie erschüttert. So wie es den Coiffeur beschäftigte, der es meiner Freundin erzählte, beschäftigte es sie, welche es mir weitersagte, damit es nun mich beschäftigt, und ich es niederschreibe, dass es jetzt Sie beschäftigt.

Diese Coiffeurepisode ist für mich schon fast ein Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Es zeigt auf, wie anpassungsfähig wir sind. Ich musste es ausprobieren und habe CHatGPT gebeten, einen Kondolenzbrief zu schreiben. Die Empathie der Antwort hat mich schockiert. Das sind durchaus Ansätze, die frau übernehmen kann. Ich verstehe die Kundin des Coiffeurs. Es war ihr ein Anliegen zu kondolieren, sie wusste aber nicht wie. Aber sie wusste sich zu helfen.

Veränderungen lassen sich nicht aufhalten. Ich erinnere mich, wie mir Ende letzten Jahrtausends eine Freundin das Internet zeigte: «Welcher Schmarren», dachte ich, «das brauche ich sicher nicht.» Jetzt bin ich so weit, dass es ohne nicht mehr ginge. Ich lasse mir aber weder eine Kondolenzkarte noch einen Liebesbrief von KI schreiben, Schreiben ist schliesslich mein Beruf. Wenn aber frau sich mit KI zu helfen weiss, wieso nicht. Nur zum Coiffeur ginge ich auch dann nicht, würde er durch KI ersetzt.

herzlichst
barbara esther

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