Da stehe ich vor dem offenen Kleiderschrank und habe keinen Plan. Wenn es darum ginge, ein Kleid fürs Abendessen, die Sitzung von Morgen oder, von mir aus, fürs erste Date zu finden, es wäre einfach. Hier und jetzt stehen drei Feuerwehr- und zwei Polizeiautos vor der Tür. Das Blaulicht haben sie inzwischen ausgeschaltet. Sie, das sind mindestens ein Dutzend Personen von Stadt und Kanton und der, der das Kommando hat, teilte soeben mit: «Gefahr im Verzug. Wir evakuieren.»
Das ist das, was man aus den Nachrichten kennt, von Brienz, Schwanden, Kandersteg, von dort wo der Berg kommt. Da habe ich mich auch schon gefragt, was würde ich einpacken? Leider habe ich nie zu Ende gedacht. Denn dann stünde ich jetzt nicht ohne Plan vor dem Kleiderschrank. Ich werfe die Bluse für zwei Pfund aus dem Charityshop von Sark auf den Boden. Eine Hose, einen Pulli und ein Buch dazu. Die Tasche steht von der letzten Reise noch im Flur. Dann besinne ich mich, und es geht schnell. Wirklich wichtig ist meine Arbeit. Computer, Festplatten und Kamera verschwinden in der Tasche. Pass, Handy und Handtasche. Ich melde mich mit den Nachbarn beim Kommandanten ab, und wir fahren weg. Für wie lange, wissen wir nicht. Wir checken in einem Hotel in unserer Heimatstadt ein, gehen gemeinsam etwas trinken. Fühlt sich an, wie der falsche Film. Die Nachbarin hat viele Taschen vollgepackt, aber nur eine Unterhose. Das sei das Billigste, das sie morgen wieder kaufen könne. Sie hat Recht. Einpacken muss man nur, was unersetzlich ist. Einen alten Liebesbrief hatte ich deshalb auch eingesteckt.
Am nächsten Tag wird am Berg hinter unseren Häusern aufgeräumt, der Felssturz begutachtet, am Abend können wir wieder heim. Wenn wir heute bergwärts schauen, ist ein leichtes Gramüseln im Magen nicht zu leugnen.
herzlichst
barbara esther
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