Leselast

Ich lese, seit ich mich erinnern kann. Lesen ist wie essen für mich. Ich bin übergewichtig, Buchstabenübergewichtig. Ich kann an keinem Buchladen, an keinem Bücherantiquariat vorbeigehen, und keinen Bücheronlineshop anklicken, ohne zu shoppen. Ich stopfe Krimis und Thriller in mich hinein, bin süchtig nach Romanzen und Historienromanen und geniesse die vollendete Sprache von richtig guter Literatur.

Was aber mache ich mit schlechter Literatur, verderbe ich mir damit Herz, Hirn und Seele, kötzle ich die unverdaulichen Sprachhaufen aus, oder versuche ich sie tapfer auszuhalten und zu verdauen?

Ich bin zu einem Schluss gekommen. Ich habe kürzlich irgendwo gelesen, dass der Mensch nur wenige tausend Bücher im Leben lesen kann. Das hat mich aufgerüttelt, erschüttert. Die ersten Bücher habe ich gelesen, bevor ich schwimmen oder Skifahren konnte. Mangels Fernsehens kam ich gar nicht auf die Idee, nicht zu lesen. Fünf Bücher pro Woche gab die Schulbibliothek her. Ich musste die dicksten auslesen, sonst hätte der Stoff nicht gereicht. Ich las im Zug, im Auto und natürlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke.  Später kam Fachliteratur hinzu – zählt die auch für meine Lesestatistik? Jedenfalls ist auch ein Buch an meiner Berufswahl schuld.

Mit zehn Jahren etwa habe ich begonnen jährlich ungefähr 50 Bücher zu lesen. Also 500 in zehn Jahren. Bis ich 80 bin, werden es 3500 Bücher sein. Ob ich im Fahrplan bin, weiss ich nicht, aber ich lege einen Gang zu. Ich habe in meinem Büchergestell Platz gemacht. Alles, was ich bisher nicht gelesen habe, werde ich nicht mehr lesen. Alles, was ich gelesen habe und mir nicht aus speziellem Grund sehr am Herzen liegt, muss weg.

Ich lese nur noch Bücher, die ich wirklich lesen will. Oft weiss ich das nach dem ersten Satz. Es ist wie mit dem Essen, gut muss es sein, süffig, süss und scharf. Leselust statt Leselast.

herzlichst
barbara esther

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