Rosinenpicken

Es gibt sie, die Nachrichten jenseits von Krieg und Boulevard, von Machtlüsternheit und Fakes. Es gibt sie, die lesenswerten Zeitungen, in welchen sich Geschichten finden, die nachhallen, weil aus der Zeit gefallen, unerwartet, berührend, lustig oder bedenklich. Da war auf watson von dieser Rentnerin zu lesen, die über Nacht in der Migros Pruntrut eingeschlossen war.  Da stand sie – stelle ich mir vor – mit ihrem Rollator hinter einem Gestell auf der Suche nach dem richtigen Tee und plötzlich ging das Licht aus. Zu verdattert um zu rufen, verharrte sie. Der letzte Verkäufer schaute nur flüchtig durch die Reihen, draussen wartete sein Gspusi. Verhungern musste die Frau nicht. Was sie verspies, wurde nicht überliefert, nur dass sie müde aber wohlauf am anderen Morgen erlöst worden sei. Ich liesse mich lieber im Einkaufszentrum einschliessen. Nach dem Kleider-, Schuh- und Parfümkauf und dem ausgiebigen Essen, legte ich mich ins grosse Bett im Möbelhaus. Zahlen müsste ich nichts, denn am Morgen erwachte ich im eigenen Bett und merkte, es war nur ein Traum.

Eine andere Geschichte, die ich nicht träumen möchte, handelte von Flugbegleitern, die einer unflätigen Passagierin den Mund zuklebten, weil sie sich nicht anders zu helfen wussten. 20minutenonline musste die Kommentarspalte wegen Hasskommentaren und Beleidigungen schliessen. Ich weiss jetzt nicht, was mich mehr beschäftigt, der zugeklebte Mund oder die gesperrte Kommentarspalte, ist ja irgendwie dasselbe.

Von etwas ganz anderem schreibt Birgit Aufterbeck Sieber auf luzern60plus.ch: Es geht um Zerbrechlichkeit von Weihnachtskugeln und Menschen. Leider sei niemand von uns mit einer Verpackung, auf der «Vorsicht, zerbrechliches Material» steht, auf die Welt gekommen. Vielleicht sollten wir uns unserer Zerbrechlichkeit bewusster sein.

Wenn ich in der NZZ am Sonntag lese, dass Alice Weidel «supersensibel und nah am Wasser gebaut ist», wird mit der Zerbrechlichkeit gespielt. Die grosse alte Dame des Journalismus, Margrit Sprecher, liess sich von Weidel instrumentalisieren.  Unbeschwertes war im Bieler Tagblatt zu lesen, «beim Singen und Lachen muss man nicht denken», wird Etienne E. Perrin zitiert. Bleibt zu hoffen der Gedanke an Weidel lässt sich verscheuchen, sonst wird das Lied zum Klagelied.

herzlichst
barbara esther

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