Zeitreise

An dein Gesicht erinnere ich mich. An deinen Namen nicht. Du musst mir helfen. Klar, genau. Wo wohnst Du? Hast Du Familie? Was arbeitest Du? Das ist schön, bzw. das tut mir leid. Geschieden? Ich auch. Deine Mutter ist gestorben? Meine auch. Ich nippe am Glas, blicke mich um. Gut angezogen sind sie, fast herausgeputzt. Schlank geblieben auch. Die Haare grau statt braun. Prüfende Seitenblicke hier und da. Vorsichtiges Herantasten. Ein paar Grüppchen, dieselben wie damals, stecken die Köpfe zusammen. Die Schöne ist immer noch schön. Die Arrogante nimmt mich immer noch nicht wahr. Die Vornehme ist immer noch sehr vornehm. Die eine, die ich gern gesehen hätte, ist nicht da. Die andere kommt spät. Erinnert sich nicht mehr an unseren Ausflug damals. Dafür an etwas Anderes. Ich bin aus der Zeit gefallen. Wir alle. Es fehlen Jahre. Der Versuch nahtlos anzuknüpfen, geht nur, wo ein Knoten bestanden hatte. Ich war nicht sehr verknotet, nicht sehr angesehen. Eher graue Maus. Noten knapp genügend. Die Wahrnehmung hat sich festgesetzt damals. Wie viele Katzen die Maus seither genarrt hat, interessiert nicht.

Dann grüsst mich eine grosse Frau freundlich. Ich spüre ihr warmes Lächeln unter der Maske. Ich grüsse zurück. Mit ahnungslosem Lächeln. Später sitzt sie neben mir. Es ist die Gescheite, die Stille. Gescheit ist sie immer noch. Doch heute öffnet sie sich, erzählt von ihrem Leben, ihren Kindern, davon, was sie zweifeln lässt und was ihr Herz berührt. Sie ist geerdet, hat Verantwortung in Beruf und Familie.

Vielleicht ist sie die Einzige, der ich an dieser Klassenzusammenkunft im Heute begegnet bin.

herzlichst
barbara esther

newsletter abonnieren