schockverliebt

Schockverliebt. Ein Wort, das man sich nicht auf der Zunge zergehen lassen kann. Es verhakte sich zwischen den Zähnen wie Fischgräte. Zum ersten Mal habe ich es im Zusammenhang mit einem kleinen Schwein gehört. Wir gingen über die staubige Strasse, der Himmel hing tief über die Insel, der Wind trieb immer wieder Regentropfen vor sich her. Dann sahen wir sie. Rechts im hohen Gras, eine grosse Muttersau und ihre sieben oder acht Ferkel. Rostrotes Fell…

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nichts

Können Sie nichts tun? Nichts machen, nichts denken, nichts sehen, nichts hören. Wann haben Sie es zum letzten Mal versucht? Die Augen geschlossen, aufs Wasser, in den Himmel oder auf eine Wand gestarrt. Den Stecker zu allen Synapsen gezogen. Sich bequem hingelegt, sich entspannt und langsam eingeatmet, ausgeatmet. Sie sind nicht eingeschlafen, Sie haben sich ins Nichts fallen lassen. Erinnern Sie sich ans Loslassen? Wissen Sie, wie sich nichts tun anfühlt? Ich finde, nichts ist…

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Seilschaften

Früher oder später erzählen Schweizerinnen und Schweizer am Meer immer von den Bergen. Skifahren, wandern, welche Pisten, welche Wege, welche Berge. Ist es Heimweh, wenn am Abend im Schiff nicht Seemannsgarn, sondern Berglegenden die Runde machen? Wenn Geschichten übers Val d’Anniviers oder das Engadin ausgegraben werden, während die Crew im Mittelmeer, vor den Kanalinseln oder in der Karibik am Anker hängt. Ich habe es bisher nie verstanden, mich immer ein wenig geärgert. Ich fahre ans…

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Wundersames

Der Vatikan schafft Wunder ab. So steht es in der NZZ am Sonntag. Schade, so ein kleines Wunder wünscht sich doch jede ab und zu. 1970 war noch Hoffnung. Katja Eppstein sang «Wunder gibt es immer wieder» und erreichte damit Platz 3 am ESC in Amsterdam. Nun ja, die Schweiz gewinnt den ESC auch ohne Wunder, nemo genügt.Sind angesichts der heutigen Welt selbst dem Vatikan Zweifel an Wundern und Göttlicher Macht gekommen? Begründet wird anders.…

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Die Wachtel

Tafelrunde. Der letzte Abend unserer Reise. Der Hauptgang wird aufgetragen. Da liegt sie vor mir auf dem Teller. Auf einem weichen, weissen Beet Risotto. Das pralle Bäuchlein zart gebraten, die Beinchen leicht gespreizt, als wollten sie gleich strampeln. Da, wo das Köpfchen sässe, liegt ein Tomätchen. Zum Glück, sonst würden noch die Äuglein starren. Ich kann nicht wegschauen, aber auch nicht hinsehen, fühle mich wie schockgefroren. Kann, darf man das essen?Ich werde jetzt nicht über…

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verpasste Gelegenheit

Ich fahre nicht oft Zug. Früher war das anders. Ich fuhr jeden Tag aufs Gymnasium. Wir waren zu viert, alle Mädchen. Eine stand immer genau am richtigen Ort, um als erste einzusteigen und uns ein Abteil zu sichern. Dann setzten wir uns hin und jassten oder strickten. Jassen war am längsten Trumpf. Die anderen Passagiere lasen Zeitung oder dösten, oder rauchten, das gab es damals noch.Heute ist vieles anders, nicht nur, dass es nur noch…

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Odysseus auf dem Mond

Als wäre Odysseus nicht lange genug unterwegs gewesen, wurde er jetzt auch noch auf den Mond geschickt. Welches Abenteuer ihn dort erwartet, ist nicht bekannt, ob nur der Mann im Mond, eine Göttin oder Zaubererin namens Luna. Was man weiss, ist, dass sein Gefährt umgekippt, was heisst, er bräuchte den Zauber, soll seine Penelope nicht vergebens auf ihn warten. Dass der Mensch jetzt auch den Mond zumüllt, ist uns nicht entgangen.Odysseus und der Mond sind…

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der Tischnachbar

Wann waren Sie zum letzten Mal in einem Hotel? Die Tische am Morgen und Abend von Hotelgästen besetzt. Zum Beispiel in der Skisaison. Zum Frühstück Pantoffeln, Trainerhose und Bauch. Wenigstens ist es still, nur die Kaffeemaschine zischt und die Löffel klirren. Müesli wird reingeschaufelt, Eier werden geköpft, Schnitten gestrichen.Abseits der Schulferien sind vorwiegend Rentner und jüngere Paare ohne Kinder unterwegs. Abends ist es lauter als am Morgen. Bei Wein und Bier werden Erlebnisse getauscht –…

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kleine Geheimnisse

Haben Sie Geheimnisse? Solche, die Sie auch Ihrem Gefährten, Ihrer Gefährtin und Ihrer besten Freundin nicht anvertrauen? Weil sie zu privat, zu peinlich sind, etwas, über das frau oder mann einfach nicht spricht?Zum Beispiel, dass Sie den ersten Liebesbrief, den Sie in der fünften Klasse bekommen haben, noch immer aufbewahren? Ich habe meinen nicht mehr, wahrscheinlich weil ich ihn lieber nicht von M., sondern von dessen Banknachbar erhalten hätte. Der war nämlich der schönere, strohblond…

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eine gute Wahl

Das Jahr ist noch jung, aber ich habe schon viel gelernt. Zum Beispiel, dass der Mensch heute täglich so viele Informationen erhält, wie ein Mensch im Mittelalter während seines ganzen Lebens. Das sagt Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk in meinem Sonntagsblatt. Sie macht sich Sorgen, dass die Menschen in diesem Informationschaos die literarische Fiktion nicht mehr verstehen. Frau muss sich das mal vorstellen – und jetzt bekommen Sie von mir für den heutigen Tag auch noch Informationen…

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ein Zeichen

Das kennen Sie auch – sofern Sie sich ab und zu eine Schnulze gönnen. Die Sonne durchbricht die Wolken genau in dem Moment, als die verzweifelte Protagonistin sich aus dem Fenster stürzen will. «Ein Zeichen», ruft sie und steigt vom Fensterbrett. In einem anderen Film begegnet sie, kurz bevor sie in eine arrangierte Ehe einwilligen soll, dreimal hintereinander einem ebenso charmanten wie ominösen Fremden. Ein Zeichen auch das, ist sie überzeugt.Ich kann Ihnen versichern, Zeichen…

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Irrtümer und andere Wünsche

«Mein Freund sagt, Du hättest ihm zugezwinkert.» Sie sagte das leicht vorwurfsvoll, vor allem aber erstaunt. Ich staunte auch. Sie war meine Banknachbarin in der Oberstufe, ihr Freund alter österreichischer Adel. Sie hatte ihn vor kurzem kennengelernt. Es war ihr erster Freund. Am Klassenfest stellte sie ihn vor. Ich erinnerte mich kaum. Aber ich blinzle viel. Damals und heute. Ich habe trockene Augen. Auch wenn mir Prinzen vorgestellt werden, für die ich keine Schwäche habe.…

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