Der Wal

Es gibt Dinge, die passieren nur den anderen – bis du selbst zu den anderen gehörst. Wir sind in Seenot geraten und haben einen Schutzengel gehabt. Warum wir, und warum hatten wir so viel Glück? Diese Fragen treiben mich um, wollen mir den Schlaf rauben. Das im-Kreis-denken anhalten, die Dinge, die passiert sind, einfach stehen lassen, sagen, es ist, wie es ist. Punkt. – Schwierig.Vielleicht waren wir nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Um…

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Helden braucht der Mensch

Jetzt werden wieder Helden geboren. Nicht auf dem Schlachtfeld, in unseren Köpfen. Helden sind all das, was wir nicht sind. Sie sind mutig und tapfer, sie kennen ihren Weg und verteidigen ihr Ziel, um jeden Preis. Sie sind erfolgreich, auch wenn sie dafür sterben. Helden retten die Welt, kämpfen und beschützen. Sie sind schön und stark, sie geben Hoffnung und lassen träumen. Helden wurden und werden aus Kriegen geboren. Dem Unaussprechlichsten, Hässlichsten, Schmerzlichsten wird das…

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Erwachen

Tage, an denen der Wecker nicht schellt, sind bessere Tage. Jedenfalls beginnen sie besser. Nicht nur, weil es freie Tage, Feiertage, Ferien oder Wochenenden sind. Sie lassen ein bisschen Freiheit und Selbstbestimmung. Kein Programm, kein Protokoll geben das Tempo vor. Ich tauche langsam aus Traumtiefen oder traumlosem Tiefschlaf. Ein Sonnenstrahl, Regentropfen auf dem Dachfenster, ein Vogelruf, das Miau meiner hungrigen Katze – langsam dringt das Leben in mein Bewusstsein. Doch ich bin noch nicht bereit.…

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wahrer Luxus

Champagner? Man gönnt sich ja sonst nichts. Kaviar? Mag ich nicht. Karibik oder Kapverden? Qual der Wahl, irgendwo muss man die Ferien ja verbringen. Grösser, teurer, angesagter – ist definitiv nicht mein Verständnis von Luxus. Luxus ist nicht die Rolex am Arm, sondern ein überwältigendes Gefühl tief in der Brust. Ich habe es erlebt:Ich schlage die Augen auf, ich hänge am Tropf, liege unter einer weissen Decke in einem sterilen Zimmer. Ich bekomme kaum Luft,…

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ein Kleid für eine ältere Dame

Kürzlich in La-Chaux-de-Fonds sehe ich ein Kleid in der Auslage. So eines, dem man nicht widerstehen kann, so ein Mussichhabending. Gleich darauf stehe ich im Laden und suche das Kleid. Eine ältere Dame fragt, ob sie mir helfen kann. Klar, ich will dieses Kleid. Sie nimmt es aus dem Ständer, ich probiere es an, sie packt es ein. Während das Seidenpapier raschelt, sagt sie zu mir: «Dieses Kleid kann man gut auch dann tragen, wenn…

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ein leeres Blatt Papier

Vielversprechend, alles möglich, Platz bis zum Horizont, Zeit ohne Ende. Ein leeres Blatt Papier, ein Tag ohne Agenda, der Vorabend der Ferien, der Glockenschlag ins neue Jahr. Hoffen, träumen, freuen, atmen. Der Beginn von etwas Neuem bewegt. Ob ein neues Buch oder nur ein neues Kapitel, Hauptsache Aufbruch. Mein Lebensbuch ist zu dick, um es wegzulegen. Aber die Seite umdrehen, ein neues Kapitel beginnen, alles anders machen, alles besser machen, alles weitermachen, alles stehen lassen?…

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kaltes Licht

Nichts ist so trostlos wie das kalte Licht des Schnees an einem grauen Tag. Es ist die Abwesenheit jeglichen Blaus. Vom Himmel bis in den Keller nur trauriges Grau. Regen tropft in den Pflotsch. Nichts Romantisches, wenn sich der Matsch mit dem Dreck vermischt. «Kaltes Licht» ist eine literarische Synästhesie. Dass für mich das Wort «Barbara» blau und die Zahl «5» rosa sind, ist hingegen eine genuine Synästhesie. Wörter, Buchstaben und Zahlen sind vor meinem…

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Maschinen sind bessere Menschen

Die kleine Drohne soll bei einer Frau und bei einer Familie Einkäufe abliefern. Als sie die fröhliche Familie durchs Fenster sieht, nimmt sie deren Einkäufe und stellt sie der einsamen Frau vor die Tür. Diese bringt die Einkäufe der Familie, welche sie ins Haus bittet. Nun sind alle fröhlich. Dieser TV-Spot erklärt nebenbei, was ethische, künstliche Intelligenz ist. Ohne Ethik hätte die Drohne die Taschen ans richtige Ort geliefert. Was hätte der Mensch getan?Künstliche Intelligenz…

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Sattsehen

Ich weiss jetzt, wo das Blau erfunden wurde. Auf dieser kleinen Insel im Meer, wo die Felsen zerklüftet und löchrig geworden, sich gegen den Sog dieses unendlichen Blaus stemmen. Nirgend wo sonst, gibt es so viele Blau. Schon bei meinem ersten Besuch auf dieser Insel fiel mir die Farbe des Meeres auf. Wir lagen im Hafen, warteten auf ein Zeitfenster zum Auslaufen. Dann, am Morgen des Aufbruchs undurchdringliche See, vom schwärzesten Blau, das ich je…

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Zeitreise

An dein Gesicht erinnere ich mich. An deinen Namen nicht. Du musst mir helfen. Klar, genau. Wo wohnst Du? Hast Du Familie? Was arbeitest Du? Das ist schön, bzw. das tut mir leid. Geschieden? Ich auch. Deine Mutter ist gestorben? Meine auch. Ich nippe am Glas, blicke mich um. Gut angezogen sind sie, fast herausgeputzt. Schlank geblieben auch. Die Haare grau statt braun. Prüfende Seitenblicke hier und da. Vorsichtiges Herantasten. Ein paar Grüppchen, dieselben wie…

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Recht auf Reisen

Beim Durchblättern einer juristischen Zeitschrift bleiben die Worte «Recht auf Reisen» hängen. Eine Buchbesprechung, die ich vorerst nicht weiter beachte. Ausgedörrt von der pandemiebedingten Meerabstinenz, lechzend nach Wellenrauschen, Wind im Haar und Salz auf der Haut, fragt sich mein Juristinnenverstand, ob das Recht auf Reisen Menschenrecht ist. Antwort: Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gibt jedem Menschen das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen sowie jedes…

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Die Flohschachtel

Andere Zeiten andere Bräuche. Oder des Sonnenkönigs Schattenseiten. Davon erfahren habe ich im Italienischunterricht. Meine Lehrerin hat einen Wunsch: Durch Versailles Gärten und Säle flanieren, gekleidet wie einst Marie-Antoinette. In Schichten feinster wallender Stoffe. Aber damit hat es sich auch schon. Die Schattenseiten will niemand wiederaufleben lassen. Ist das reinste Gruselkabinett. Puder und Parfum statt Seife und Wasser, Stöckelschuhe damit man nicht in die Scheisse tritt.Die Geschichte von der «scatola delle pulci», der Flohschachtel, gefällt…

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